WOLFGANG ESSER
Wolfgang Esser wurde als studierter BWLer Aufnahmeleiter, Produktionsleiter und Head of Production. Ab Ende der 90er Jahre war er Leitender Produzent bei Telefilm Saar, bei Aspekt Telefilm und bei der Odeon Film AG. Seit 2013 arbeitet er freiberuflich, auch als Dramaturg, Dozent und Autor. Bis heute ist er verantwortlich für den 2004 unter seiner Leitung entstandenen, vielfach ausgezeichneten SPREEWALDKRIMI. Wolfgang Esser lebt und arbeitet in Berlin und auf Mallorca. Er ist langjähriger Branchengast an der MSD. Seit 2020 unterrichtet er die Teilnehmer:innen unserer Ausbildung über die Zusammenarbeit zwischen Autor und Branche.
Wie bist Du als BWLer in die Filmbranche gekommen und warum bist Du dabeigeblieben?
Es lag quasi auf meinem Weg. Zu meiner Studienzeit in Mannheim führte mich mein täglicher Fußweg zur Uni an vier oder fünf Kinos vorbei, die schon ab vormittags richtig gute Filme zeigten. Mit der Zeit besuchte ich damals wahrscheinlich mehr Kinosäle als Hörsäle, und so kam es, dass ich nach dem Studium nach München ging, um irgendwas mit Film zu machen. Dabeigeblieben bin ich in erster Linie, weil ich in dieser Arbeit genau das Lebensgefühl wiederfinden konnte, das ich schon seit Kindestagen durch den Segelsport so sehr liebe: Immer wieder zu neuen Ufern aufbrechen, egal woher der Wind weht, mit einem Team, das sich aufeinander verlassen kann, in einem Boot auf demselben Kurs.
Du hast bereits 2004 mit dem SPREEWALDKRIMI eine ganz neue Art des Erzählens etabliert. Wie hat sich das deutsche Fernsehen seitdem verändert?
Ok, zwei Jahrzehnte in Kurzform: Die SPREEWALDKRIMIS zeichnen sich aus durch ihre assoziative Erzählweise in komplexen, teils mystischen Geschichten und durch virtuose Spiele mit Zeit, Raum und Wahrnehmung. In der heutzutage großen Genrevielfalt sind dies nur noch bedingte Alleinstellungsmerkmale. Als wir vor fast zwanzig Jahren von klassischen Erzählstrukturen, (Heldenreise, Whodunit etc.) abgewichen sind, galt jedes einzelne dieser Merkmale jedoch als krasser Bruch mit den vorherrschenden Erzähl- und Sehgewohnheiten. Damals wie heute wünschte man sich zwar das Außergewöhnliche, das Besondere, aber nicht alle können oder wollen es auch umsetzten oder verantworten. Trotz der heute größeren Offenheit neuen Dramaturgien gegenüber, gibt es im linearen Fernsehen nur wenige Sendeplätze, die diese Art fiktionalen Erzählens erlauben; inhaltlich wie strukturell. Ganz sicher bietet das noch junge Mediatheken- und Streamingzeitalter viel mehr Raum für kreatives filmisches Erzählen, sofern wir ihn zu nutzen wissen.
Gibt es eine erste Frage, mit der Du an einen Filmstoff oder ein Serienkonzept von Autor:innen herantrittst?
Außer vielleicht der Frage nach dem Genre zur groben Einordnung interessiert mich erst einmal nichts. Wäre mein Herantreten mit einer Erwartungshaltung verbunden, und sei es auch nur mit einer niedrigschwelligen, könnte die Geschichte ihren Zauber nicht entfalten. Beim ersten Lesen möchte ich gerne ihr überlassen, welche Saiten sie in mir anschlägt. Letztlich geht es doch darum, wie nachhaltig es einer Geschichte gelingt, uns zu bewegen. Ein noch so genial konstruierter Mindfuck vermag bei mir keine nennenswerten Spuren zu hinterlassen, wenn ich ihn zwar verstehen, aber nicht fühlen konnte.
Als Produzent arbeitest Du oft langjährig mit anderen zusammen. Wie kann gutes und dauerhaftes Teamwork gelingen?
Ein Team stellt man idR nach seinen Stärken zusammen. Dazu lege ich großen Wert auf Teamfähigkeit. In einem guten Team kennt jeder auch die Schwächen des anderen, um ggf. stützen zu können. Dauerhaft gutes Teamwork gelingt, wenn man zusätzlich Raum lässt für die Begabungen der anderen und diesen auch vertraut. Einem Film kann man ansehen, ob in einem Team Einigkeit erzielt werden konnte.
Hast Du einen ultimativen Tipp für Newcomer zum Einstieg in die Branche?
Na klar: Folgt Eurer Leidenschaft. Und traut keinem ultimativen Tipp; es gibt ihn nicht.
Was wünschst Du Dir für Deine berufliche Zukunft?
Mehr Muße zum Schreiben wäre manchmal schön. Nicht immer lässt mir meine andere Arbeit dafür genügend Raum.
Als Produzent wünsche ich mir für Fernsehfilme mehr Kreativität im Umgang mit Filmsprache und Filmästhetik. Selbstverständlich gehört es dazu, die Regeln und Grenzen des jeweiligen Spielfeldes zu kennen, auf dem man sich bewegt. Aber das bedeutet ja nicht automatisch, dass man nur an der Mittellinie entlang spielen darf.
JONAS ULRICH
Jonas Ulrich machte direkt nach seinem Germanistik- und Geschichts-Studium 2011 an der MSD die Ausbildung zum/r Autor:in. Im Anschluss war er fest angestellt bei Constantin Entertainment in Ismaning und schrieb für zahlreiche SAT.1-Formate Krimis. 2014 wurde er Redaktionsleiter von Zuio.TV, einem Moderatoren-Start-Up von Frank und Thomas Elstner für experimentelle YouTube-Formate. Seit 2021 ist er als Story Owner und Showrunner verantwortlich für das transmediale Storytelling verschiedener Spielzeuglinien bei PLAYMOBIL, vor allem für ADVENTURES OF AYUMA. Jonas Ulrich arbeitet weitgehend online und lebt in Berlin.
2012 warst Du mit FREESTYLER ein Pionier im Webserien-Bereich. Derweil bist Du Showrunner in der Spielzeugbranche. Warum hast Du Dir solche, für Drehbuchautor:innen eher ungewöhnliche Jobs gesucht?
Mich hat schon immer das Neue interessiert. Sobald ich ein Thema verstanden habe, sehne ich mich nach dem nächsten. Das war im Studium nicht anders als im Berufsleben. Mein Traumberuf wäre wohl "Lerner“, eine Art bezahltes Studium Generale zu immer neuen, selbstgewählten Themen. Da lag Schreiben auf der Hand. Da ist ja jeder Satz neu oder wenigstens neuartig, wenn man es richtig macht. Und ich habe in jedem meiner Jobs geschrieben. Der Rest hat sich ergeben.
Was genau machst Du bei Playmobil und inwiefern hat das mit Dramaturgie zu tun?
Alles hat mit Dramaturgie zu tun. Wenn die Kinder nicht PLAYMOBIL Fee Produktnummer 80801 im Regal sehen, sondern Forest Fairy Alina, die tagelang im Feenwald zur Pflanze meditiert, um die Pflanze besser zu verstehen, ist mein Job getan.
Konkret: Ich denke mir Storybögen und Charaktere aus, schreibe das Ganze in eine Story Bible, und die landet dann bei unseren externen Partnern wie SONY oder Blue Ocean, die daraus Hörspiele oder Comics basteln. Dann kommen die Pitches, Exposes und Dialogbücher irgendwann zu mir, und ich werde zu einer Art Chefredakteur, der darauf achtet, dass die Geschichten zueinanderpassen, die Charaktere getroffen sind und natürlich unsere Produkte recht prominent darin vorkommen.
Es ist schon 11 Jahre her, dass Du die MSD besucht hast. Was hat Dir die Ausbildung gebracht?
Neben all dem wunderschönen Fachwissen vor allem Realismus. Klar kann man jede Dialogzeile der Coen-Brüder voller Inbrunst zitieren und von einem deutschen GAME OF THRONES mit superber Staffel 8 träumen. Aber am deutschen Markt und dessen Formaten vorbeischreiben, gar eigene Formate kreieren, das können wirklich nur die Allerwenigsten. Vom Schreiben leben zu können ist ein Privileg, das man sich hart erarbeiten muss. Bei euch hat der Traumtänzer ein solides Parkett bekommen.
Inwiefern hat sich Storytelling durch das Internet in dieser Zeit verändert?
Die ständige Verfügbarkeit von allem und jedem und die schiere Masse an Storytelling durch Streaming hat dafür gesorgt, dass es kaum mehr gemeinsame Geschichten gibt, auf die sich alle einigen können. Allerdings erreichen die Streamingdienste und YouTube ein weltweites Publikum. 2011 war an deutsches Genreerzählen außerhalb der Nische nicht zu denken. Heute gibt es DARK, UNORTHODOX und BIOHACKERS. Wenn die Deutschen es nicht gucken, vielleicht die Argentinier? Eigentlich insgesamt eine schöne Entwicklung, dieses Internationale.
Hast Du einen ultimativen Tipp für Newcomer zum Einstieg in die Branche?
Schreibt, was auch immer ihr kriegen könnt und veröffentlicht wird. Jede noch so kleine Veröffentlichung, selbst wenn sie in der Mediathek oder einem kleinen Festival versandet, macht die Autoren-Vita vielseitiger. Und diese vermaledeite Vita braucht man allüberall. Niemand übergibt freiwillig ein Millionenprojekt an eine Autorin ohne Erfahrung. Darüber lernt man dann auch Leute kennen. Fünf geniale Geschichten auf Papier sind weniger wert als eine veröffentlichte Folge für DIE OLCHIS, das Hörbuch.
Was wünschst Du Dir für Deine berufliche Zukunft?
Wovon alle Autoren träumen. Eine eigene Geschichte, hinter der ich persönlich voll und ganz stehe, die mir genügend Geld zum Leben einbringt und vielleicht sogar politisch und kulturell etwas bewirkt. Aber Geschichtenerzähler bei PLAYMOBIL zu sein ist auf eigene Art spannend und vielseitig.