Dozent:innen und Absolvent:innen stellen sich vor

Autor(in): 
Master School Drehbuch

JOACHIM MÜHLEISEN

Joachim Mühleisen studierte Filmwissenschaft und Französische Literatur. Als ausgebildeter Editor gründete er 2004 in Berlin mit einem Freund die Vitascope Filmproduktion. Dort produziert er Imagefilme, Lehrvideos, Trailer und Dokumentationen; er begleitet Kinder- und Jugendfilmprojekte. Sein besonderes Augenmerk gilt der originellen Umsetzung. Joachim Mühleisen ist auch als Dozent tätig. In der Ausbildung an der MSD ist er verantwortlich für das Modul „Verfilmen einer Szene“, in dem Teilnehmer:innen ihre Szenen in Produktion und Postproduktion realisieren.

Erzähl uns, warum Du Filmemacher geworden bist und Deine eigene Produktionsfirma gegründet hast.

Am Ende meines theater- und filmwissenschaftlichen Studiums an der FU Berlin drehte ich ein filmisches Porträt über meine Großmutter. Ich zeigte es einem Freund und Kommilitonen und wir entschlossen uns kurz nach der Jahrtausendwende eine kleine Produktionsfirma zu gründen, die Filmbiografien für private Auftraggeber herstellt: Vitascope mit der schönen Bedeutung „Das Leben betrachten“. Wir begannen Filme für kulturelle Einrichtungen zu drehen, machten Filme für Unternehmen, produzierten Kinder- und Jugendfilmprojekte und fingen schließlich auch an zu unterrichten.

Gibt es eine erste Frage, mit der Du an einen Stoff herantrittst?

Für einen narrativen Film muss der Stoff interessant sein und ich muss darin eine Melodie hören, die durch die Verbindung der Einstellungen wie bei der Aneinanderreihung von Noten entsteht. Im Grunde hat Film sehr viel mehr mit Musik zu tun als mit Theater. Ich versuche also zu erkennen, ob ich aus dem Stoff ein Lied heraushören kann, das den Zuschauer in eine bestimmte Stimmung versetzt und ihn am Ende die Idee erfahren lässt.

In unserer Ausbildung erlernen Menschen das Drehbuchschreiben. Du konfrontierst sie mit Produktion und Postproduktion. Wie wichtig ist es, dass sich Autor:innen auch in anderen Gewerken auskennen?

In meinen Kursen drehen die Teilnehmer:innen einzelne Einstellungen in einer bestimmten Einstellungsgröße für die Szenenauflösung, die wir dann später gemeinsam zusammenfügen. Ein Film wird fast immer im Schnitt erzählt. Ich ermuntere sie, auch außerhalb des Kurses mit dem Handy immer mal wieder alltägliche Handlungsabläufe in einzelne Einstellungen aufzulösen und zu drehen und sie dann mit einem einfachen Schnittprogramm zusammenzuschneiden, um zu sehen, was dabei herauskommt. Zwar gibt es ohne ein gutes Drehbuch keinen guten Film, aber die filmische Gestaltung hat wesentlichen Anteil daran, ob aus einem guten ein sehr guter Film werden kann. Du bist seit vielen Jahren Dozent.

Was macht guten Film-Unterricht für Dich aus?

Generell ist guter Unterricht für mich wie ein szenischer Dialog, also dynamisch – ein Wechselspiel zwischen theoretischer Durchdringung eines Themas und praktischer Anwendung, Ernsthaftigkeit und Heiterkeit, Rationalität und Emotionalität, Ruhe und Erregung. Guter Film-Unterricht öffnet geistige Räume und motiviert die Teilnehmer:innen, eigene Projekte mit den Mitteln umzusetzen, die ihnen zur Verfügung stehen.

Was müssen Newcomer nach Deiner Erfahrung vor allem beachten, um weiterzukommen?

Zuerst sollte man vor allem die Möglichkeiten nutzen, die man hat. Bresson sagt in seinen Notizen zum Kinematographen „Denk nicht an deinen Film außerhalb der Mittel, über die du verfügst.“ und „Meide die zu großen oder zu entfernten Sujets, wo dich nichts warnt, wenn du dich verirrst.“ Ich denke, man sollte sich auch nicht zu sehr in bestimmte Sujets und Stoffe verbeißen und sie ruhen lassen, wenn man nicht weiterkommt. Es öffnet sich immer wieder eine neue Tür.

Was wünschst Du Dir selbst für Deine berufliche Zukunft?

In den letzten Jahren habe ich sehr viel unterrichtet, ich würde gerne wieder mehr eigene künstlerische Projekte umsetzen. Vielleicht auch wieder mutiger sein, losziehen, wenn sich eine gute Idee einstellt und nicht auf eine Finanzierung oder den richtigen Augenblick warten. Also den Spaten schultern und den Garten umgraben, auch wenn man am Ende keinen Schatz findet. Das Suchen bringt eine Menge Erfahrung und wer weiß, vielleicht findet man den Schatz am Ende doch und stellt dann fest, dass man ihn gar nicht mehr braucht.

 

PEGGY HAMANN

Peggy Hamann arbeitete viele Jahre als Übersetzerin, Lektorin und Produktionsleiterin für Theater in Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Belgien. Im Anschluss an die Ausbildung an der MSD war sie Co-Autorin der Filmemacherin Erige Sehiri für UNDER THE FIG TREES / SOUS LES FIGUES. Der Film gewann bereits zahlreiche Preise und ist nun der tunesische Beitrag für die Oscarverleihung 2023 als bester internationaler Film. Peggy Hamann arbeitet außerdem als Dramaturgin und literarische Übersetzerin. Sie ist langjähriges Mitglied des Programmkinos achteinhalb in Saarbrücken, wo sie lebt.

Hinweis: In Berlin ist SOUS LES FIGUES am 04.12. und 09.12.22 im Rahmen des Festivals Around the World in 14 Films zu sehen.

Du hast es mit Deinem ersten Drehbuch direkt nach Cannes und in das Rennen um den internationalen Oscar geschafft. Erzähl uns, wie Du diesen unglaublichen Erfolg erlebst.

Mir fällt es manchmal noch schwer, ihn zu realisieren! Aber ich erlebe ihn ganz deutlich als eine Würdigung der filmischen Vision, die uns animiert hat. SOUS LES FIGUES ist ein Gruppenfilm. Die Frage nach der Hauptfigur haben wir in der Entwicklung sehr lange diskutiert. Die positive Rückmeldungen der Zuschauer:innen bestätigen nun, dass es richtig war, bei der Gruppe zu bleiben. Besonders erfreulich ist, dass dieser Erfolg unsere Laiendarsteller:innen selbstbewusster macht und die Landarbeiterinnen ins Licht stellt, die ansonsten unsichtbar sind. Dank der vielen Auszeichnungen erreicht der Film weltweit ein großes Publikum, was uns unsagbar glücklich macht.

Doch fangen wir früher an: 2019 hast Du an der Ausbildung der MSD teilgenommen. Welches Erlebnis hat Dich besonders geprägt?

Sich drei Monate am Stück ausschließlich mit Filmen, Figuren und deren Geschichten zu beschäftigen – das war eine der prägendsten Zeiten meines Lebens. Sehr beeindruckend fand ich die große Offenheit der Dozent:innen: von TV-Stoff bis Kinofilm – wir konnten in alle Richtungen und Genres denken. Dies half mir, die eigenen inneren Schranken fallen zu lassen. Auch die konstruktive Auseinandersetzung mit den Geschichten der Kolleg:innen, so vielfältig wie sie waren, war bereichernd. Sie hat mir gezeigt, wie sinnvoll es ist, andere in ihrem künstlerischen Vorhaben zu unterstützen.

Wie kam es dann zu Deinem schnellen Einstieg als Drehbuchautorin?

Die Ausbildung an der MSD habe ich deswegen angefangen, weil ich wusste, dass ich im Anschluss nach Tunesien gehen würde, um mit Erige Sehiri zusammenzuarbeiten. Kaum war ich in Tunesien kam der Lockdown. Und dieser Ausnahmezustand war doch ein Glück für uns. Wir konnten nichts anderes machen, als intensiv und fokussiert eigene Projekte zu entwickeln! Ich erinnere mich, dass ich beim Frühstück immer die Podcasts von Oliver Schütte gehört habe – teilzuhaben an dem kreativen Prozess anderer hat mich weiter ermutigt, selbst zu schreiben.

SOUS LES FIGUES ist ein Doku-Fiction-Hybrid von drei Autorinnen. Wie habt Ihr in der Stoffentwicklung gearbeitet?

SOUS LES FIGUES ist ein Spielfilm, den wir wie einen Dokumentarfilm und ausschließlich mit Laiendarsteller:innen gedreht haben. Die junge Fidé hat uns die Welt der Erntehelferinnen eröffnet. Wir haben dann Obstgärten besucht und uns mit jüngeren und älteren Arbeiterinnen getroffen. Aus ihren Erzählungen haben wir Situationen geschöpft. Diese Situationen haben wir mit ausgewählten Mädchen und Jungs geprobt, daraus haben sich die anderen Figuren herauskristallisiert und die Personen, die bei der finalen Besetzung mitwirken sollten. Was die Dialoge angeht, haben wir den Darsteller:innen sowohl bei den Proben als auch bei den Dreharbeiten innerhalb der von uns vorgegebenen Dialoginhalte viel Spielraum für Improvisation gelassen.

Hast Du jetzt, nach alldem, einen ultimativen Tipp für Newcomer zum Einstieg in die Branche?

Ultimativ nicht, aber das, was sich für mich bewährt hat, war: Dran bleiben. Sich trauen. Sich Unabhängigkeit verschaffen. Verbündete suchen.

Mit welchen Projekten bist Du gerade befasst und von welchen Projekten träumst Du?

Mit Freundinnen entwickle ich zurzeit ein Drama und eine Serienidee. Mit Erige plane ich auch mehrere Projekte. Ich träume eigentlich wenig, wünsche mir aber weiterhin Filmabenteuer wie SOUS LES FIGUES; Filme, in denen der Erzählrahmen Platz für Realität und Improvisation lässt und in dem es Zeit zum Ausprobieren gibt.